Loewenmut

Das Fanzine für alle Löwenfans und den Rest der Welt

Aus Heft 8: Löwen unter dem Hakenkreuz

Erstmalig beleuchtet ein Buch diesen bislang nicht dokumentierten Abschnitt der Vereinsgeschichte

Dass Spitzensportler, Verbandsfunktionäre und Zuschauer der »schönsten Nebensache der Welt« nicht im politik-freien Raum nachgehen, dürfte sogar den letzten Idealisten bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking aufgefallen sein. Auch in München gibt es aus den letzten Jahren genügend Beispiele dafür, an denen sich die vielfältigen Verbindungen zwischen Sport und Kommunalpolitik aufzeigen lassen. Nicht zuletzt die Debatten um den Ausbau des Olympiastadions zu einer »fußballgerechten« Spielstätte und die Errichtung und Finanzierung der neuen Arena in Fröttmaning haben das deutlich werden lassen. Die Verquickung von Sport und Politik stellt jedochnicht eine Erscheinung der Globalisierung und Kommerzialisierung des Sports in den letzten zwei Jahrzehnten dar; solche Strukturen waren spätesten seit dem Ende des 1. Weltkriegs, als der Sport und auch der Fußball zu einer Massenbewegung in Deutschland wurden, in den großen Vereinen und Kommunen vorhanden und nachweisbar. In besonderem Maße trifft das für den »Turn- und Sportverein München von 1860« zu. Die Rolle des Vereins in der Zeit des Nationalsozialismus beleuchtet ein eben erschienenes Buch des Münchner Historikers und Archivars Anton Löffelmeier, der schon seit Jahren über die Geschichte des Vereins forscht.

Seine Darstellung setzt bereits ein Vierteljahrhundert vorher ein, im deutschen Kaiserreich. Damals war der Verein keineswegs ein Arbeiterverein, im Gegenteil, der Turnverein München von 1860 war »der« bürgerliche Turnverein in München. Er genoss die Sympathie von Mitgliedern des bayerischen Königshauses und den Spitzen des Militärs; führende Mitglieder des Magistrats fanden sich zu den Festveranstaltungen ein, den Verein repräsentierten angesehene Männer aus der höheren Beamtenschaft oder der Kaufmannschaft. Das Gros der Mitglieder gehörte ebenfalls diesem Umkreis an. Man pflegte das Image eines »bürgerlichen Musterstaats« im Kleinen, mit eigener Feuerwehr, öffentlicher Bibliothek und einem umfangreichen Festprogramm im Jahreslauf. Die Grundstimmung im Verein war konservativ, national und patriotisch. Dass sich den Festansprachen bisweilen völkische Töne beimischten, unterschied den Verein nicht von anderen Mitgliedsvereinen der Deutschen Turnerschaft und des Deutschen Fußballverbandes.

Nach dem Ersten Weltkrieg repräsentierten weiterhin konservativ und nationalliberal eingestellte Persönlichkeiten den Verein nach außen. Freilich duldeten die alten Eliten es, dass ein Teil der unter ihren Fittichen herangewachsenen jungen Männer sich völkischen und nationalsozialistischen Gruppierungen anschloss. Viele dieser Aktivisten entstammten dem Milieu des Kleinbürgertums und dem der mittleren und kleineren Angestellten; aufgewachsen in der geordneten Welt des Kaiserreichs, waren sie nun unzufrieden mit der politischen Situation und dem öffentlichen Chaos, das sie nach der Rückkehr aus dem Krieg vorfanden. So beteilige sich eine merkliche Zahl aus diesem Kreis am sogenannten Hitlerputsch, der zwar in den Morgenstunden des 9. November 1923 an der Feldherrnhalle scheiterte, deren Teilnehmer aber noch enger zusammenband.

Zur politischen Krisensituation der 1920er Jahre gesellte sich die finanzielle Schieflage des Vereins. Sie verschlechterte sich nach dem Bau des Stadions dramatisch, und auch die im Jahr 1925 erfolgte Aufteilung des Gesamtvereins in einen Turnverein und einen Sportverein konnte sie nicht aufhalten, sondern beschleunigte sie eher noch. Seit Ende der 1920er Jahre hing das Fortbestehen des Vereins eigentlich vom Wohlwollen der Stadtspitze und der städtischen Sparkasse ab. Beide Faktoren - eine nach Einfluss drängende völkische Fraktion und der drohende Untergang des Vereins - dürften den frühen Pakt mit den neuen Machthabern beschleunigt haben und führten zu der öffentlichen Verlautbarung des Vereins vom 21. März 1933, in der sich der Verein »freudig« zur Mitarbeit im neuen Staat bereit erklärte.

Unter diesen Rahmenbedingungen fiel es den ehemaligen »Alten Kämpfern« um Dr. Emil Ketterer, Fritz Ebenböck, Franz Grundner oder Ludwig Holzer nicht mehr schwer, Führungspositionen im Verein zu übernehmen. Spätestens mit der Wahl Fritz Ebenböcks zum Vereinsführer im April 1934 war das Netz zwischen Verein, Stadtverwaltung, Partei und SA so eng geknüpft, dass die wichtigen Entscheidungen über das Fortbestehen des Vereins in diesem Beziehungsgeflecht gefällt

wurden. Bis dahin waren die alten Eliten, wie Dr. Ernst Müller-Meiningen, Heinrich Zisch oder auch Wilhelm Hacker, mehr oder wenig freiwillig aus dem Amt geschieden oder hatten resigniert. Die neue Situation bot auch nationalsozialistischen Emporkömmlingen von außerhalb des Vereins, wie etwa Theo Benesch oder Sebastian Gleixner, die Möglichkeit, in Führungspositionen bei den Sechzigern zu gelangen.

Manche Vereinsmitglieder und Abteilungsleiter folgten aber den neuen Führungskräften nicht bedingungslos. Dies zeigen die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der nationalsozialistischen Schulungen, der sogenannten Dietarbeit, oder der spürbare Unwillen bei der Eingliederung der Vereinsjugend in die Hitlerjugend. In der Fußballabteilung kam es sogar zu einer regelrechten Entmachtung der schon vor 1933 amtierenden Führungskräfte. Im Trainingsbetrieb schließlich dürfte manche Anweisung der nationalsozialistischen Führung nicht mehr angekommen sein. Die Einzelbiographien wie auch die Zeitzeugeninterviews deuten zumindest die Möglichkeit nichtkonformen Verhaltens in der Diktatur an.

Nach dem Krieg war eine ganze Generation von Führungskräften durch die enge Verstrickung in das nationalsozialistische Unrechtssystem nicht mehr tragbar geworden. Der einzige, der für den Neuaufbau von Stadtverwaltung und Militärregierung akzeptiert worden wäre, Heinrich Zisch, starb früh. So dauerte es Jahre, bis sich eine handlungsfähige Vereinsspitze neu formieren konnte. Der neue Geist des Aufbruchs und das rasche sportliche Wiedererstarken haben den Verein in die fünfziger Jahre hinein getragen und den Mythos von der »Vereinsfamilie« neu entstehen lassen. Dass man über die Jahre von 1933 bis 1945 nicht mehr sprechen wollte, hat dabei kaum jemanden gestört. Erst die Generation der Enkel geht nun daran, Fragen nach dem Handeln der Vereinsführung, einzelner Abteilungsleiter und Mitglieder in der NS-Zeit zu stellen.

         Anton Löffelmeier, Die »Löwen« unterm Hakenkreuz – Der TSV München von 1860 im Nationalsozialismus – 208 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-89533-645-4, Euro 19,90

 


(top) • hoam (home)

Verweise auf andere Internet-Seiten (»links«) sind mit »¹« gekennzeichnet. Die Verantwortung dafür liegt beim Betreiber der jeweiligen Seiten. Es kann leider vorkommen, dass die Inhalte, auf die wir verweisen wollten, sich inzwischen geändert haben. Auf Schweinkram, Kommerz oder gar kriminelle Inhalte verweisen wir grundsätzlich nicht, warum auch. Wenn ihr seltsame Links bei uns entdeckt, teilt uns das bitte mit.


Lesen kann Vorurteile und Weltanschauungen zerstören. Wir lehnen dafür jede Verantwortung ab. Im Zweifelsfall hilft frische Luft im Grünwalder Stadion.