Loewenmut

Das Fanzine für alle Löwenfans und den Rest der Welt

Aus Heft 7: Stell dir vor, es ist Fußball, und der Krieg kommt zu dir

Regionalliga Derby Bauern II – TSV 1860 München II, 09.12.2007

Ein völlig normaler Spieltag an jenem Sonntagnachmittag im Dezember? Nein, denn wir Blaue sind ausnahmsweise nur Gäste der Bauern von der Säbener Straße in unserem Stadion an der Grünwalder Straße, dem »Sechzger«. Dort findet heute das sogenannte kleine Derby in der Regionalliga statt, und es herrscht wieder einmal Festtagsstimmung auf Giesings Höhen. Tausende von Fans – Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder – sind da, um unsere Mannschaft als der berühmte zwölfte Mann zu unterstützen. Jedoch bemerken wir schon sehr bald, dass wir als zwölfter Mann keineswegs alleine sind. Die gesamte Westkurve im »Sechzger« ist gut gefüllt mit Vertretern von »Team Grün«: PolizistInnen in voller Kampfmontur. Sie sind – im Gegensatz zu uns Fans – nicht am Spiel interessiert, sondern eindeutig nur an uns. Sie laufen durch die Blöcke, bleiben stehen, Kommandos gellen – es wird weiter gelaufen; sie filmen mit Kameras, erneut ein Befehl, schon wieder ein einziges Hin- und Hergerenne. Die Polizei sorgt dadurch ohne jede erkennbare Not für viel Unruhe und Verärgerung in die Reihen der Fans, da diese natürlich nicht die in schnellem Wechsel direkt vor ihren Augen ablaufenden polizeilichen Manöver sehen wollen, sondern das Spiel. Immer wieder jedoch werden sie abgelenkt von den »Gschaftlhubern in Grün« (O-ton eines Augenzeugen). Darüber hinaus hat sich – wenn auch noch ohne direkten Fankontakt – wie eine zusätzliche Drohkulisse das martialisch wirkende, ganz in Schwarz gekleidete, sogenannte USK (Unterstützungskommando) im abgesperrten Bereich des Stadions (dem wegen Baufälligkeit das ganze Jahr über gesperrten Block J) aufgebaut.

Blocksperre – eine Freiheitsberaubung der alltäglichen Art für Fußballfans?

In der Halbzeitpause wird über den Stadionsprecher eine »Blocksperre von 20 Minuten« verkündet. Eine aus unserer Sicht zwar theoretisch schon durch kein Gesetz mehr gedeckte, aber praktisch – in unser aller Interesse am geordneten Ablauf der Veranstaltung – gerade noch hinnehmbare Freiheitsberaubung.

Nicht nachvollziehbarer Art und Weise gilt diese Sperre dann aber bereits für das unmittelbare Verlassen des Blocks und somit auch auf für das Aufsuchen der sanitären Anlagen und die Möglichkeit, sich mit etwas Essbarem oder auch nur einem Schluck Wasser (wer mag schon wirklich alkoholfreies Bier?) zu versorgen. Mehr als fragwürdig wirkt das allein schon deshalb, da sich Toiletten und Kioske ja nicht außerhalb des Stadions befinden, wo man tatsächlich auf Bauern hätte stoßen können. Im Umlauf zwischen Kurve und geschlossenem Zaun wäre dergleichen schlicht und einfach unmöglich gewesen. Innerhalb des Grünwalder Stadions ist eine Fantrennung durch die verschließbaren Tore unterhalb der Kurve absolut gegeben.

Schlichtweg skandalös ist allerdings auf alle Fälle die praktische Umsetzung der Sperre: selbst wer als einzelner absolut glaubwürdig versichern kann, dringend – beispielsweise wegen Arbeitsbeginn – gehen zu müssen, hat keine Chance, sein normalerweise grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen zu dürfen. Nicht einmal für Väter und Mütter mit kleinen Kindern, die mal müssen, Hunger haben, müde geworden sind oder schlicht und einfach Angst bekommen haben, wird eine Ausnahme gemacht.

Kurz vor Spielende wird das USK (Unterstützungskommando der Polizei in Bayern, Löwenmut berichtete in Heft 6) in den Unterrang unterhalb der Westkurve beordert. Dort wird die Montur komplettiert. Helme auf, Schlagstöcke werden aus dem Gürtel gezogen, Handschuhe werden angezogen.

 

Das Spiel ist zu Ende, doch die Blocksperre dauert immer weiter und weiter. Schließlich sind seit Spielschluss schon 20 Minuten vorbei und alle Bauern sind längst schon wieder zumindest aus Giesing und wahrscheinlich sogar schon aus der ganzen Stadt verschwunden. Insgesamt warten wir Fans unter den oben beschriebenen Umständen nun schon seit 40 Minuten. Endlich wird die Blocksperre offenbar aufgehoben, und sogleich drängt alles zu den Ausgängen. Allerdings sind nicht alle Ausgänge geöffnet, sondern deren nur einer in den äußeren Umlauf des Candidberges. Dieser Umstand führt zielsicher zu der im Fußballleben bekannten »Rudelbildung«. Leider gibt es keinen Schiedsrichter, der dieser Rudelbildung hätte Einhalt gebieten können, es gibt auch keine Fernsehkameras, die das, was dort passiert, hätten aufnehmen können: Hier im Inneren des Umlaufes wüten nun Einheiten der Polizei, die fast so eine Art Spießrutenlaufen mit den Fans veranstalten. Wer auch immer das Stadion nun endlich schnell verlassen will, ist einer von den Bedauerlichen, der auf eine Mauer von Polizisten trifft, die anscheinend ungehemmt und blind zuschlagen. Pfefferspray kommt zum Einsatz. Dabei werden nach verschiedensten Schilderungen von Betroffenen und Augenzeugen weder Jugendliche oder gar Kinder samt Eltern noch Mädchen oder Senioren geschont: Es ist auch nicht erkennbar, dass zumindest denjenigen von ihren »Freunden und Helfern« geholfen würde, die bereits verletzt sind. Im Gegenteil: Manche der Menschen, die bereits auf dem Boden liegen und um Hilfe flehen, werden von Polizisten getreten.

Wir Fans wehren uns:
NUR GUCKEN – NICHT ANFASSEN!

Nach Tagen der Schockstarre beginnen wir – zunächst als einzelne Fans – zu reagieren. Wir sammeln Augenzeugenberichte und Atteste, schreiben Leserbriefe an die Tageszeitungen, die den Hergang nach dem Derby völlig falsch wiedergegeben hatten (gemäß Polizeibericht: keine besonderen Vorkommnisse) und fordern über das Internet alle Betroffenen auf, sich gemeinsam mit uns zu wehren. Leider gilt bis zum heutigen Tag, dass sich die allermeisten (!) Opfer weigern, erlittene Übergriffe wie Beleidigungen, Demütigungen und Körperverletzungen zur Anzeige zu bringen, weil sie allen Ernstes befürchten, in der Zukunft sozusagen im Gegenzug mit zusätzlichen Repressalien seitens der Polizei belegt zu werden!

Einerseits ist dies sicherlich ein Armutszeugnis für unseren demokratischen Rechtsstaat, zumindest für dessen Exekutive. Diese muss sich schon die Frage gefallen lassen, warum eigentlich soviele Fans – ein nicht unerheblicher Teil der BürgerInnen – offenbar nach diversen persönlichen Erfahrungen in Zusammenhang mit ihrem Hobby Fussball, vor ihrer Polizei nur noch panische Angst haben?

Andererseits ist auch klar, dass ein demokratischer Rechtsstaat auf Dauer nur dann überleben kann, solange er von seinen BürgerInnen jederzeit wehrhaft verteidigt wird – zumindest, indem diese von den ihnen zustehenden Grundrechten Gebrauch machen!

 

Eine beachtlich große Minderheit der Fans zeigt denn auch Zivilcourage, geht allen Bedenken zum Trotz mit uns zu einem Anwalt und wir erstatten eine gemeinschaftliche Anzeige gegen die verantwortlichen Polizeibeamten wegen Freiheitsberaubung, gefährlicher Köperverletzung und Körperverletzung im Amt sowie aller weiterer in Betracht kommender Straftaten.

Die Staatsanwaltschaft hat unsere Anzeige mittlerweile bekommen und immerhin bereits ein Vorermittlungsverfahren eröffnet. Wir alle hoffen sehr, dass dort niemand der Versuchung erliegt, die Augen vor diesem womöglich politisch heiklem Thema zu verschließen. Friedliche BürgerInnen haben auch als Fußballfans das Recht, das Stadion ihrer Wahl heil und unversehrt zu besuchen und auch wieder verlassen zu können!

Die Polizei hat dieses Recht durchzusetzen und nicht zu einzuschränken! Es darf kein weiteres Mal geben!

         Ulla &Herbert

 

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